Papst Benedikt XVI. ist für mich in erster Linie ein Hörender: auf das Wort Gottes und auf die Weisheit der Menschen. Er ist aber auch jemand, der sich dem Nächsten, gleich welchen Standes oder Amtes, mit großer Aufmerksamkeit zuwenden kann. Aus diesem Hören speist sich seine Theologie: Er wollte keine eigene Schule gründen, sondern einzig und allein seine Zuhörer zu Christus führen; diesen „diaphanen“ Charakter spürt man auf jeder Seite seiner Schriften. Auch in den konkreten Belangen der Kirche hat er sich immer wieder in den Dienst nehmen lassen, als Lasttier, wie er einmal sagte; er hing ganz und gar nicht an seinen verschiedenen Ämtern. Das ist für mich ein Vorbild, wie mit übertragener Macht umzugehen ist. Seine Sensibilität, Vorsicht und Wohlwollen hinderten ihn aber nicht daran, auch harte Entscheidungen zu treffen und sich klar zu positionieren: eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Missbrauchstätern, eine klare Absage an Gewalt im Namen Gottes, ein Plädoyer für die Vernunft des Glaubens, ein unmissverständliches Bekenntnis zu Nostra aetate. Zwei Aussagen von ihm sind für mein alltägliches Leben als Christ immer wieder leitend: Es gibt kein „Christentum à la carte“, nach eigenen Vorlieben und Interessen, vielmehr müssen wir uns immer wieder auf die Wahrheit in ihrer ganzen Fülle einlassen und an ihr Maß nehmen. Und: Die Theologie darf den einfachen Gläubigen nicht aus den Augen verlieren, muss letztlich dem Glauben der Kleinen dienen. Die „Kleinen“ (parvuli) sind wir alle, auch diejenigen, die als Philosophen und Theologen viel über Gott und die Welt zu sagen haben. Wir alle müssen uns letztlich am Kreuz Christi festhalten und uns von Ihm vertrauensvoll tragen lassen: Nemo enim potest transire mare huius saeculi, nisi cruce Christi portatus (Augustinus).
Stephan Herzberg (Deutschland)
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